Dienstag, der 29.12.2009: Der Tag des Aufbruchs beginnt schlecht: 7 Uhr aufstehen! Da könnt Ihr nur lachen! Es muss noch jede Menge erledigt werden. Obst, Gemüse und Fleisch einkaufen, das Deck mit Süßwasser putzen, Wassertanks füllen, alles unter Deck so verstauen, dass nichts herunterfallen kann, die 30l im Dieselkanister in den Tank umfüllen und den Kanister wieder nachfüllen. Das klingt alles nicht so aufwendig, aber für das Einkaufen habe ich gut eineinhalb Stunden gebraucht und für das Deck putzen ebenfalls. Eric macht inzwischen die Verkabelung vom Funk fertig, dann marschiert er mit dem Kanister zur Tankstelle. Ich bin gerade beim Wasser tanken, als Helga mit Molke, Käse und Essig zum Verabschieden kommt. Wir werden sie sehr vermissen. Auch Andy und seine Frau Andrea schauen vorbei und bringen Orangen und Avocados aus ihrem Garten bin.

Wir brauchen noch bis 15 Uhr, bis wir endlich alles klar zum Auslaufen haben. Dann werden die Leinen gelöst und wir fahren aus dem Hafen, der uns jetzt mehr als zwei Monate zur neuen Heimat geworden ist. Mit Pfeifen und Trompeten vertreiben die zurückbleibenden Freunde die bösen Geister und wünschen uns eine gute Weiterreise.
Die Bomika ist schon vor einer knappen Stunde voraus gefahren. Weil der Wind im Verhältnis zu den Wellen eher schwach ist, fahren wir zunächst unter Motor weiter. Nach einiger Zeit sehen wir ein Segelboot vor uns. Wir funken über UKW (das ist der Funk, der nur eine geringe Reichweite hat, im Gegensatz zum Amateurfunk, der weltweit funktionieren kann) die Bomikas an, es ist aber nicht ihr Boot, wie wir gerade selbst erkennen können, weil es die Richtung ändert und gegen Land fährt. Sie geben uns ihre Position durch und es ist wahrscheinlich ihr Mast, den wir am Horizont erkennen können. Sie teilen uns mit, dass der Wind bald nach der Hafenausfahrt kräftig zulegen wird und dass sie derzeit das Groß gesetzt aber noch motoren würden.

Während Eric und ich noch besprechen, ob wir das Groß gleich mit einem Reff setzen sollen, bläst der Wind bereits mit über 20 Knoten aus Westsüdwest und wir machen gleich 3 Reffs hinein. Zu meinem Glück weht der Wind auch fast genau von vorne, also müssen wir hart am Wind segeln. Dazu noch 3-4m hohe Wellen und Aroha legt sich schön schräg. Wir fallen ein wenig ab, wodurch der Wind etwas seitlicher einfällt und setzen auch noch den Traveller ins Lee, damit die Krängung nachlässt. Manche Wellen folgen so dicht aufeinander, dass der Bug hart am Wasser aufschlägt. Immer wieder werden wir ruckartig geschaukelt.

Jetzt wo wir unterwegs sind, haben wir auch endlich Zeit spät aber doch zu Mittag zu essen. Ich gehe hinunter, stütze mich mit beiden Beinen fest ab und mache rasch einige Schinkensandwichs. Dabei muss ich auch ständig aufpassen, dass nichts davon rutscht. Alles muss entweder eingeklemmt oder auf eine Antirutschmatte gestellt werden.

Wie in der Wettervorhersage angekündigt, dreht der Wind allmählich nördlicher und wir können auf Halbwindkurs gehen. Das macht man eine gute Geschwindigkeit (zur Zeit 6 Knoten),hat aber nur eine geringe Krängung (Schräglage). Eric beobachtet die Umgebung und ich verbringe meine Zeit mit Logbuch und Bericht schreiben oder rätseln. Gegen Abend sehen wir die Bomika und segeln eine Zeit lang gemeinsam. Durch das viele Schaukeln, das späte Mittagessen und den Stress bis zum Aufbruch sind wir nicht sehr hungrig und essen nur eine Fertigsuppe zu Abend.
Da wir nun zum ersten mal nur zu zweit mehrere Tage und Nächte allein segeln, haben wir noch nicht heraus gefunden, welcher Nachtrhythmus für uns am geeignetsten ist. Wir probieren also 3 Schichten zu je 4 Stunden. Die erste von 20 Uhr bis Mitternacht übernehme ich, dann Eric bis 4 Uhr und wieder ich bis 8 Uhr früh. In der nächsten Nacht wird die Reihenfolge dann umgekehrt. Während der ersten Nacht ist der Wind extrem böig und wechselhaft. Mal bläst er schwach, dann wieder sehr stark. Also reffen wir aus, reffen wieder, machen 3 Reffs und reffen wieder aus. So wird uns heute Nacht nicht langweilig. An Schlaf ist sowieso kaum zu denken. Für die Überfahrt sind wir aus der Frontkabine in die Achterkabine übersiedelt, da es dort wesentlich weniger wackeln und auch leiser sein soll. Das stimmt auch, doch die ungewohnten Geräusche irritieren. Die Wellen schaukeln das Boot, dadurch arbeiten das Holz und der Rumpf und das macht einen ziemlichen Lärm. Außerdem ist die vordere Kajüte viel höher (ca. 1m über dem Bett) und es gibt eine große Luke, durch die man in den Himmel schauen kann. Hinten ist nur bis zum Doppelbett Stehhöhe, danach muss man ins Bett kriechen. Eric findet das angenehm höhlenartig, ich fühle mich beengt. Durch das ständige Ein- uns Ausreffen verlieren wir Geschwindigkeit und das zehrt auch an den Kräften. Im Laufe der Nacht verlieren wir das Licht der, Bomika aus den Augen, da sie einen stetigen Kurs nach Autopilot und mit 2 Reffs segeln.

Am nächsten Tag, Mittwoch, funken wir wieder mit Lisa und Charly, um unsere Kurse aufeinander abzustimmen. Um 11 Uhr haben wir mit noch zwei anderen Booten eine Funkrunde über Amateurfunk verabredet. Es gelingt Eric mit Volker zu sprechen, das emailen funktioniert aber leider nicht. Nach der nahezu schlaflosen Nacht fühlen wir uns wie kleine Zombies, leicht apathisch und ferngesteuert. Ansonsten verläuft der Tag ereignislos. In der Nacht fahren wir mit einem Reff, dadurch wird die Freiwache nicht ständig gestört. Leider kann ich wegen des Lärms und dem Geschaukle trotzdem nicht schlafen, Eric hat da weniger Probleme, obwohl auch er nicht durch schläft. Es muss so ähnlich sein, wenn man kleine Kinder hat. Ein Ohr hört immer, ob alles in Ordnung ist.
Am angenehmsten ist es während der Wache, weil es draußen weniger schaukelt und auch die Geräusche des arbeitenden Boots kaum zu hören sind. Außerdem stellen wir den Wecker wieder auf jeweils 15 Minuten und dösen bis zum Läuten. Dann ein Blick in die Umgebung und die Instrumente, Wecker stellen und weiter dösen. Oder auch schlafen. Einmal muss Eric mich wecken, weil ich den Alarm nicht hörte. Es ist aber sowieso weit und breit kein anderes Schiff zu sehen. Bei der Wachablöse schreiben wir die aktuellen Daten, Position, Wind, Wellen, Wetter mit Barometer, Logge, Geschwindigkeit, Kurs und Besegelung ins Logbuch. Da schalten wir dann auch kurz das Radar an, um auch die etwas weitere Umgebung zu prüfen. Aber außer Störungen, die durch die hohen Wellen verursacht werden, ist nichts zu sehen. Nur wenn wir auf weniger als 6sm an die Bomika herankommen, können wir ihr Echo sehen.

Am Silvestertag funktioniert der Amateurfunk wieder nicht, die Störungen sind zu stark, um etwas zu verstehen. Inzwischen nimmt der Wind leicht ab und wir können den Parasail setzen. Aber wir lassen ihn nur einige Stunden oben, da der Wind zu böig und die Wellen zu hoch sind. Deshalb fällt er trotz Auftriebssegel immer wieder zusammen. Der Auftrieb sorgt zwar dafür, dass er sich wieder aufrichtet, aber manchmal passiert das so ruckartig, dass es am Segeltuch zerrt und da besteht die Gefahr, dass es geschwächt wird oder sogar reißt. Während dieser Zeit machen wir jedoch gute 7 Knoten und beim Funk mit Lisa und Charly erfahren wir, dass wir schon näher gekommen sind. Sie wurden gerade von Delfinen besucht und schicken sie uns weiter. Und tatsächlich kurz vor Sonnenuntergang schwimmen ein Dutzend Delfine um unser Boot, tauchen mal unten durch, springen hoch, um Luft zu schnappen und begleiten uns eine Weile. Und in der Ferne taucht gleichzeitig der Mast der Bomika auf.

Um Mitternacht gibt es erstmals wieder Alkohol und wir stoßen zum Wachwechsel mit einem kleinen Glas Wein auf das neue Jahr an. Anschließend funken wir Lisa und Charly an und wünschen einander alles Gute.

Am Neujahrstag bastelt Eric wieder am Amateurfunk und schafft es auch eine Sprechverbindung mit dem schweizer Boot Vanupied (Barfuß) zustande zu bringen.

Ab dieser Nacht ändern wir die Wacheinteilung auf vier mal drei Stunden. Damit muss nicht einer zwei Wachen machen, während der andere in dieser Nacht nur eine hat und außerdem beginnt man in der vierten Stunde so richtig durch zufrieren. Die Kälte und vor allem die Feuchtigkeit kriechen unter die Kleidung, obwohl wir Schiunterwäsche, Pullover, Ölzeug dicke Socken und Bootsschuhe anhaben. Und da spricht man von Barfußroute!

In der Nacht auf den 2.1. kommt der Wind immer platter von hinten, sodass die Segel zu schlagen beginnen. Da wir nicht zu nahe an die afrikanische Küste fahren wollen, weil es dort sehr weit flach hinaus gehen soll, holen wir das Großsegel ein und segeln mit ausgebaumter Genua weiter. Durch den Baum wird die Genua weit draußen gehalten und kann auch wegen einer Welle oder einem kurzen Winddreher nicht einfallen. Nach Sonnenaufgang setzen wir dann wieder den Parasail. Diesen lassen wir nachts nicht stehen, weil wir das Einholen noch nicht gut genug beherrschen, um das im Dunkeln zu machen. Außerdem kann man nachts leichter übersehen, dass der Wind stärker wird und dann ist das Beherrschen von 125m² Tuch selbst mit Bergesack keine Freude.

Abends sehen wir wieder die Bomika, da sie aber über den Nacht ihren Blister stehen lassen können, segeln sie uns rasch wieder davon.
Dafür kontern wir am nächsten Tag mit Parasail und später mit einem Schmetterling und überholen sie in der Nacht in rauschender Fahrt. Bei einem Schmetterling steht das Großsegel auf einer Seite und die Genua auf der anderen Seite. Die Genua baumen wir auch wieder aus.
Auch am letzten Tag der Überfahrt haben wir kräftigen Wind von hinten und düsen weiter dahin. Denn dann könnten wir es schaffen, noch bei Tageslicht in der Ankerbucht von Palmeira einzutreffen. Das ist besonders wichtig, weil wir befürchten, dass diese schone ziemlich voll sein wird, weil viele andere Segler so wie wir den Wetterwechsel auf den Kanaren abgewartet haben.

12 Uhr 57: Land in Sicht! Schon seit dem späten Vormittag haben wir danach Ausschau gehalten. Weil die Insel Sal aber recht flach und das Wetter sehr diesig ist, können wir erst jetzt, knapp 15 Seemeilen entfernt, einen Berg schemenhaft in der Ferne erkennen. Langsam kommen wir näher. Ein zweiter Berg ist zu sehen. Bald sieht man auch das flache Land zwischen den Erhebungen. Das Eiland ist extrem trocken und karg. Die Wellen brechen sich am Ufer, der Seegang wird immer heftiger. Wir segeln so dicht wie möglich im Norden an die Insel heran und in Ufernähe die Westseite entlang bis zur Bucht von Palmeira. Ein riesiger Frachter liegt vor dem Eingang der Bucht, linkerhand ist der Industriehafen. Sonst kann man noch ein paar kleinere Häuser sehen. Wie wir bereits vermutet haben, liegen hier viele Segelschiffe vor Anker, einige davon kennen wir bereits aus Gomera. Und es ist ein bisschen wie nach Hause kommen, als Hilde und Ulli von der Tofua uns beim vorbeifahren zuwinken. Dann sehen wir die Vanupied mit Claudia und Thierry, die ebenfalls winken. Wir ankern leicht Backbord achteraus ihnen. Kaum sitzt unser Anker fest, rufen sie schon herüber und wollen wissen, wie es uns ergangen ist. Sie sind nur wenige Stunden vor uns eingetroffen. Kurz danach funkt uns die Bomika an. Sie haben gerade die Nordspitze von Sal passiert und werden in etwa einer Stunde einlaufen. Wir teilen ihnen mit, worauf sie bei der Einfahrt nach Palmeira achten sollen, da es dann schon finster sein könnte. Danach muss das Großsegel in den Lazyjacks ordentlich verstaut und alle 19 Leinen aufgeschossen werden. Als die Bomika kurz nach Sonnenuntergang einläuft, heißen auch wir sie mit winken willkommen und machen auch ein paar Fotoaufnahmen.
Zur Feier unserer Ankunft trinken Eric und ich im Cockpit einen Sundowner, dann kochen wir Nudeln und wärmen dazu eine Fertigsauce auf. Kurz nach dem Essen legen wir uns nieder und der Kopf hat das Polster noch nicht richtig berührt, sind wir schon eingeschlafen.